Die gesetzliche Fristenregelung, die in Österreich am 29. November 2023 seit 50 Jahren in Kraft ist, ermöglicht eine Diskussion jenseits von Schuldzuweisung und Bestrafung. Die Katholische Frauenbewegung möchte den Jahrestag dafür genutzt sehen, sich dem Thema Schwangerschaftsabbruch gesprächsbereit statt urteilend zu widmen.
„Aus dem Dilemma zwei Leben in einer Person zu schützen, kommen wir nicht heraus“, formulierte die kfbö-Vorsitzende Angelika Ritter-Grepl bei einem organisationsinternen Dialogforum zur Fristenregelung im Oktober, „aber es gibt die Möglichkeit, miteinander zu sprechen und den Mut aufzubringen, Verantwortung zu teilen. Es kann nicht darum gehen, sich über Abtreibungsfristen zu streiten, wenn wir unsere Ressourcen dafür nutzen sollten, das Dilemma im Vorhinein zu verhindern. Dazu braucht es gezielte Präventivmaßnahmen in den Bereichen Forschung, Wissensvermittlung, Sozialpolitik.“
Am Anfang müssen Gespräche stehen. Und diese meinen auch und vor allem den Dialog mit der Jugend. Die Fragen und Unsicherheiten junger Menschen erachtet die kfb als ernstzunehmende und notwendige Stimme im offenen Austausch über Schwangerschaft. In Folge raumgreifender globaler Krisen kommen existentielle Themen wie Familiengründung und Familiengestaltung zu kurz. Wenn sich für die soziale Identität wesentliche Fragestellungen nicht verbalisieren können, entsteht eine gefährliche Verdichtung von psychologischen und praktischen Lasten, die in Krisenzeiten nicht mehr tragbar sind. Die Fristenregelung darf nicht zu einem Gesetz der Ersthandlung werden, sondern benötigt eine vorgelagerte Gesprächs- und Bildungsarbeit.
Gleichzeitig ist für den Angebotsausbau einer ergebnisoffenen Beratung zu sorgen, die persönlich Betroffenen eine fachliche und emotionale Stütze bietet. Die kfb appelliert an die Bereitschaft zum Zuhören und zum Sprechen mit Menschen, die mit einem großen Konflikt ringen. Dabei gilt es die Ungemütlichkeit des Dialogs in Kauf zu nehmen. Hier sieht die kfb auch die Regierung in der Verantwortung. Sie ist zuständig, umfassende und niederschwellige öffentliche Informationen zum Thema Schwangerschaft und Elternschaft bereitzustellen, sichtbar zu machen und zu kommunizieren. Ein fachkundiges gesamtgesellschaftliches Informieren kann einseitige, radikale Meinungsäußerungen verhindern. Frauen, die das Gesetz der Fristenregelung für sich in Anspruch nehmen, dürfen nicht Zielscheibe von verbaler oder gar körperlicher Gewalt werden. Leben zu schützen, heißt Leben zu respektieren und Verständnis für Konfliktsituationen aufzubringen.
Zu den Konflikten, mit denen sich Frauen konfrontiert und in Folge teils außer Stande sehen, eine Schwangerschaft auszutragen, zählen eine fehlende stabile Partnerschaft, unzureichende Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, kein gesicherter, elternkompatibler Arbeitsplatz sowie mangelnde Unterstützung im sozialen Umfeld. Das Gesetz räumt Frauen daher die Möglichkeit des Abbruchs der Schwangerschaft ein. Einen Gebärzwang darf es nicht geben, das Ja zum ungeborenen Leben kann nur freiwillig gesprochen werden.
Indes ist es der kfb im christlichen Verständnis ein Anliegen, sich weiterhin für den ausbaufähigen Schutz des ungeborenen Lebens in Österreich einzusetzen. Eine verbesserte Sozialpolitik für Frauen, die den oben genannten Konflikten vorbeugt, ist unerlässlich: familienrealistische Arbeitsmodelle, staatlich gewährleistete Unterhaltszahlungen für Alleinerziehende, gesicherte Verfügbarkeit kostenfreier Kinderbetreuung. Auch in die soziologische Forschung muss investiert werden. Nur auf Basis von Fachwissen über die Motive, die Frauen zu einem Schwangerschaftsabbruch bewegen, können politische Maßnahmen zum Lebensschutz greifen.
Den 50. Jahrestag des Inkrafttretens der Fristenregelung in Österreich möchte die Katholische Frauenbewegung außerdem zum Anlass der Würdigung all jener Frauen nehmen, die sich trotz schwieriger Umstände dafür entscheiden, auch ein Kind mit geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung willkommen zu heißen. Die kfb appelliert hier ganz besonders an die werdenden Väter, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein. Jenes Bewusstsein zu vermitteln, ist ein Bildungsauftrag, der Schulen, Eltern und Familie, kirchliche Gemeinden und die gesamte Gesellschaft als Kollektiv betrifft.
Über alle Parteien und ideologischen Grenzen hinweg muss es ein gemeinsames gesellschaftliches Anliegen sein, dass sich in einem Land wie Österreich keine Frau aus sozialen Gründen zu einer Abtreibung gezwungen sieht. Schwangerschaft beschränkt sich nicht auf eine Person, die Mutter, sondern ist Angelegenheit von Mutter und Vater, von Mediziner*innen, von fachlichen Berater*innen und von einer Gesellschaft, in der Leben wächst und miteinander gestaltet wird. Zuständigkeiten dürfen nicht auf Einzelne abgewälzt und öffentliche Anfeindungen nicht toleriert werden, die mitunter zur Folge haben, dass mancherorts die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs durch infrastrukturelle Lücken medizinisch nicht möglich ist. Ein staatliches Gesetz erfordert, dass der Staat dessen Ausführbarkeit gewährleistet.
Für essentiell in der Debatte um die Fristenregelung hält die Katholische Frauenbewegung das Verständnis, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch eine kontinuierliche Begutachtung und Gesprächsführung benötigt. Verfahrensweisen bei ethischen Konflikten müssen zu jedem Zeitpunkt als entwicklungsfähig gedacht werden.