Kirche braucht Geschlechtergerechtigkeit. Vortrag von Angelika Ritter-Grepl in der Wiener "Akademie am Dom"
Geschlechtergerechtigkeit ist ein Schlüsselbegriff, wenn die Kirche ihrem Auftrag nachkommen will, das in Christus verheißene Heil je neu erfahrbar zu machen. Darauf hat die Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreich (kfbö) Angelika Ritter-Grepl, in einem Vortrag am 27. Oktober in Wien hingewiesen.
Sie kritisierte, dass die Kirche aus der biblischen Heilsbotschaft, dass für Gläubige durch das "Eins-Sein in Christus" Geschlechterunterschiede "nicht mehr wichtig, ja sogar zu überwinden" seien, keine strukturellen Konsequenzen zog. Im Gegenteil: Sie hänge alten, wissenschaftlich widerlegten Geschlechterstereotypen nach und stütze damit eine auch gesellschaftliche Diskriminierung von Frauen.
Die kirchliche Diskriminierung der Frauen verortet sich in zwei rechtlich verankerten Hürden, wie Ritter-Grepl unter dem Titel "Frauen.Kirchen.Krise" im Rahmen der Wiener "Akademie am Dom" darlegte: Gültig geweiht werden kann nur ein Mann; und auch unter den Laien sind Frauen benachteiligt, denn nur Männer können zum Lektor und Akolythen bestellt werden. Papst Franziskus fordere in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" zwar Geschlechtergerechtigkeit in der Welt ein, "schreckt aber vor Änderungen in der Kirche diesbezüglich zurück", kritisierte die kfbö-Vorsitzende. Zu Recht werde der Kirche die Frage nach ihrer eigenen Wahrhaftigkeit gestellt.
Und dies zunehmend von Frauen, wies Ritter-Grepl auf das "neue Phänomen" zunehmender Kirchenaustritte von Frauen, sogar von Seniorinnen, hin. Die derzeitige Kirchenkrise habe somit auch damit zu tun, dass die Frauenfrage von der Kirchenleitung "nicht angemessen beantwortet" werde.
"Wichtigste feministische Texte stehen in der Bibel"
Ritter-Grepl ist Absolventin eines Studiums der kritischen Geschlechter- und Sozialforschung an der Uni Innsbruck und bezeichnet sich selbst als "katholische, fromme Feministin". Wenn dies jemand als Widerspruch empfindet, weise sie darauf hin, dass "die wichtigsten feministischen Texte in der Bibel stehen". Die kfbö-Vorsitzende argumentierte mit der Taufformel im Paulus-Brief an die Galater 3,28, laut der sich das angebrochene Reich Gottes bereits jetzt in bestimmten Qualitäten zeigt: Nicht mehr jüdisch noch griechisch, nicht frei oder versklavt, nicht männlich und weiblich.
In der Gesellschaft seien die damit angesprochenen sozialen Kategorien von Ethnizität (jüdisch, griechisch) von Klasse bzw. Schicht (frei, versklavt) und Geschlecht (männlich, weiblich) nach den Kämpfen der Moderne angekommen und weltweit in der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verankert, erinnerte Ritter-Grepl. Die Kirche jedoch sei säumig in der Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit.
"Kirche macht Geschlecht"
"Gender" sei nach dem Stand der Forschung größer als das biologische Geschlecht, "es wird zur Konstruktion", wie Ritter-Grepl sagte. "Und genau dies tut die Kirche. Sie macht Geschlecht, indem sie lehrt, wie Frauen sind, und von Frauen einfordert, so zu sein!" Die Expertin erinnerte an die Kirchenlehrer Augustinus und Thomas von Aquin, die Theorien über "das Minderwesen Frau" in die kirchliche Lehre einführten. Gegenwärtig sehe das Lehramt Frau und Mann als "verschieden, aber aufeinander bezogen, sich ergänzend in einer je eigenen Würde", und stütze sich dabei auf Geschlechtertheorien des 19. Jahrhunderts.
Diese zeichneten ein Frauenbild mit Eigenschaften wie schwach, intellektuell nicht leistungsfähig, nicht fähig, in der Öffentlichkeit zu wirken oder sich politisch einzubringen, so Ritter-Grepl. Die Frauenwelt werde beschnitten auf das Wirken in der Familie, mit der Überhöhung der Mutterrolle und dadurch bedingt ohne eigene Erwerbstätigkeit "und unter der angeblichen notwendigen Führung durch den Mann". Übersehen werde bei diesem kirchlichen Idealbild, dass ihm die großen heiligen Frauen, Ordensgründerinnen und Äbtissinnen mit quasi-bischöflicher Jurisdiktionsvollmacht in keinster Weise entsprochen hätten, erklärte Ritter-Grepl.
Somit unterstützt die katholische Kirche - "in ihrer eigenen strukturellen Sünde gefangen" - eine symbolische Ordnung, in der es legitim ist, Frauen zu diskriminieren. Diese Benachteiligung sei auch gesellschaftlich weiterhin vorhanden und sei in Form von Einkommensunterschieden erst jüngst am "Equal-pay-day" - heuer am 22. Oktober - sichtbar geworden.
"Umkehr der ganzen Kirche erforderlich"
Die Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung forderte konkrete Schritte in Richtung einer geschlechtergerechten Kirche: Das geltende "Sprechverbot" über die Zulassung der Frauen zum Weiheamt müsse aufgehoben, eine Gleichberechtigung auch der Laien verankert werden; weiter brauche es eine Anerkennung der Ergebnisse der Geschlechterforschung und deren Berücksichtigung in Theologie und Pastoral.
All das wäre Voraussetzung für einen Prozess in Richtung volle Inklusion von Frauen auf allen Ebenen der Kirche einschließlich eines neuen Amtsverständnisses. Eine Kirchenrechtsreform allein sei dafür zu wenig, betonte Ritter-Grepl. "Es geht um eine Umkehr der ganzen Kirche." Dazu seien Menschen nötig, die aktuelles Geschlechterwissen in den Dienst der Kirche stellen "und eine Kirchenleitung, welche solche Menschen in den Dienst nimmt und beauftragt, im Sinn der Geschlechtergerechtigkeit zu wirken". (KAP)