Workshop: HEILSAMES ERZÄHLEN. DIE HEILUNGSGESCHICHTEN IN DEN EVANGELIEN

Was können wir aus den Heilungsgeschichten heute für unser spirituelles und körperliches Wohlbefinden mitnehmen?
Grundsätzlich müssen wir uns einmal die Frage stellen, welche Aussageabsichten die Heilungsgeschichten in den Evangelien haben. Sie wollen nicht als historische Berichte oder Protokolle vom Heilswirken Jesu gelesen werden, sondern als Hoffnungsgeschichten der Jesusgemeinden. Wenn die Jesusgemeinden vom heilenden Messias erzählen, dann drücken sie in diesen symbolischen Geschichten die Bedeutung des Jesusglaubens für ihren Lebensalltag aus. Und diesen Glauben erfahren sie eben als heilsam und befreiend; er lässt sie neue Sichtweisen einnehmen und zeigt sich als beharrliches Trotzen gegen alle Lebensfeindlichkeit. Die Heilungserzählungen sind so letztlich Propagandageschichten für den Jesusglauben. Dieser Jesusglaube kann daher auch eine wichtige Quelle unserer Resilienz, also eine Kraftquelle für unser eigenes Wohlbefinden sein.
Warum ist ein kritischer Blick auf „Normalisierung“ in biblischen Texten wichtig?
Gerade Menschen mit Beeinträchtigung empfinden die biblischen Heilungserzählungen manchmal als Zumutung, weil durch sie die Vorstellung transportiert wird, nur ein „gesunder“ Körper und eine „gesunde“ Seele sei „normal“. Das war durchaus auch die Einstellung in der Antike: so galt nur ein gesunder Mann als echter Mann. Krankheit bzw. Gesundheit waren also gesellschaftliche Statusfaktoren. Die Heilungsgeschichten Jesu wollen diese Einstellung einerseits zwar gerade infrage stellen und zeigen daher, dass Jesus den Kontakt mit den Kranken nicht scheut, sondern sogar sucht. Andererseits schaffen die Erzählungen es aber nicht, aus diesem Normalisierungs-Denken vollends auszubrechen, da sie Jesus als denjenigen darstellen, der die Menschen mit Beeinträchtigung heilt, anstatt diese einfach so anzunehmen, wie sie sind. Aber die Heilungskompetenz diente schließlich in der Antike nun einmal als bedeutsames Symbol für religiöse bzw. göttliche Macht und Autorität. Trotzdem sollte gerade die Bibelauslegung diese kritischen Anfragen von Menschen mit Beeinträchtigungen ernst- und aufnehmen.
Was bedeutet „Heilung“ für Sie – jenseits von körperlicher Gesundung?
Die Rede von Heil und Heilung hat für mich immer etwas Befreiendes und Entlastendes. Wohlergehen kann – aber muss nicht – mit körperlicher Gesundung einhergehen. Wenn trotz Krankheit dem Leben ein Sinn abgetrotzt werden kann, wenn Menschen – trotz körperlicher oder psychischer Beeinträchtigungen – eine Lebensperspektive erkennen, ist das durchaus eine Erfahrung von Heilung. Und als Glaubende, aber eben auch als Glaubensgemeinschaft sind wir dazu berufen, solche Erfahrungen von Heilung zu unterstützen und zu ermöglichen.